Öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr am 12.11.2005 in Bordenau

Traditionspflege: Bordenauer Geburtstagsfeiern

Scharnhorstdenkmal in Bordenau im November 2005
Scharnhorstdenkmal in Bordenau im November 2005

Redebeitrag des Arbeitskreises Regionalgeschichte während der Kundgebung des Antimilitaristischen Bündnisses Region Hannover gegen das Öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr am 12.11.2005 in Bordenau

Bordenau ist militärisch besetzt. Aus ganz Norddeutschland strömen reisende Uniformträger zusammen, um sich hier demonstrativ vor ausgesuchtem Publikum einem merkwürdigen militärischen Initiationsritus zu unterwerfen. „Ich bin stolz auf die Meinungsfreiheit in unserem Land“ ließ Oberst Hans-Jürgen Malirs, Leiter der Bundeswehr-Projektgruppe Bordenau angesichts der zu erwartenden Proteste kürzlich die Öffentlichkeit wissen. Oberst Marlirs zeichnet verantwortlich für die Organisation des heutigen Bundeswehr-Events. Es ist hierzulande modisch geworden, auf alles Mögliche und Unmögliche stolz zu sein. Aber, wie lautet ein altes Sprichwort: Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Und es zeugt schon von einer gehörigen Portion Ignoranz, wenn der Funktionär einer militärischen Organisation, die durch und durch hierarchisch aufgebaut ist, in der demokratische Rechte nicht existieren, stolz ist auf die Meinungsfreiheit. Was die deutsche Armee unter Meinungsfreiheit versteht, demonstriert sie hier in Bordenau wirklich anschaulich. Teile des Dorfes wurden zur Sondernutzungszone der Bundeswehr erklärt. Jegliche kritische Meinungsäußerung wird dort gewaltsam durch Militärpolizei unterbunden. Feldjäger werden die Militärpolizisten in Deutschland traditionell genannt. Sie machen Jagd auf dem Felde des Krieges, auf den Schlachtfeldern der inneren und äußeren Sicherheit. Nicht auf Hasen oder Rebhühner, sondern auf Menschen. In der Vergangenheit auf Verweigerer und Deserteure, von denen im Zweitenn Weltkrieg Tausende ermordet wurden. Heute werden in ihren Sondernutzungszonen noch keine Menschen zur Strecke gebracht, sondern lediglich die freie Meinungsäußerung. Wie es aussieht, wenn die Bundeswehr demnächst, wie von der großen Koalition geplant, im Innern eingesetzt wird, kann hier heute in Bordenau studiert werden.

Er sei also stolz auf die Meinungsfreiheit, meinte Oberst Malirs, vorsichtshalber belehrte er jedoch den zuständigen Redakteur, der es geflissentlich notierte: „Wichtig ist, dass man sich an Spielregeln hält.“ Die Spielregeln, die der Bundeswehr-Oberst meint, werden drüben in der Sondernutzungszone durch Feldjäger vorgeführt.

Aber schon im Vorfeld bekam man einen Vorgeschmack davon, was die Bundeswehr und ihre Fans von Meinungsfreiheit halten. Plakate und Aufrufe des Antimilitaristischen Bündnisses Region Hannover die Bordenauerinnen und Bodenauer hier im Ort aufhängten, wurden immer wieder abgerissen. Den hohen Herren aus Politik und Militär soll ein sauberes Dorf präsentiert werden. Das Scharnhorstdenkmal, wird von der Stadt Neustadt, die permanent über chronischen Geldmangel klagt, aufwendig gereinigt, die neben dem Denkmal stehenden Kanonen werden liebevoll neu gestrichen.

Ganz nebenbei: Das heutige Militärspektakel kostet die SteuerzahlerInnen rund 2 Millionen Euro. Wer redet da noch von leeren Kassen?

Über die Auseinandersetzungen um das Gelöbnis, wird allenfalls in den regionalen Zeitungen berichtet, überregional erfahren die Menschen davon nichts. Den hohen Herren, die sich in gepanzerten Limousinen und verschanzt hinter Bodygards durchs Land bewegen, wird ein potemkinsches Dorf präsentiert, eine saubergescheuerte Idylle. Doch der Kern des Protestes gegen dieses anachronistische Militärspektakel kommt hier aus Neustadt, aus Hannover, aus der gesamten Region. Die Bundeswehr exportiert nicht nur unter Missachtung des Grundgesetzes den Krieg bis zum Hindukusch, sondern sie stiftet auch Unfrieden hier vor Ort, ja, sie führt sich im Dorf auf wie eine Besatzungstruppe. Alle werden froh sein, wenn das Militär am kommenden Montag die letzten Stellungen wieder geräumt hat.

Allein das Gebaren und Auftreten dieser Armee hier und heute zeigt, dass sie mit den militärischen und politischen Idealen des preußischen Heeresreformers Scharnhorst, der eine Wehrpflichtarmee und eine Miliz für die Territorialverteidigung aufbauen wollte, nichts zu tun hat. Die Bundeswehr verwandelt sich zunehmend in eine weltweit agierende Kolonialarmee aus Berufssoldaten, die die Rohstoffzufuhr für die Großmacht Deutschland militärisch absichern soll. Man nennt sie auch schon wieder Schutztruppe, wie seinerzeit die alte kaiserliche Kolonialarmee. Das Lufttransportgeschwader 62 vom Fliegerhorst Wunstorf, das Panzerbataillon 33 und die Instandsetzungsbrigade 141 aus Neustadt Luttmersen sind als sog. Krisenreaktionskräfte an diesen weltweiten Einsätzen beteiligt. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in dieser Zeit der Umstrukturierung, Berichte über Misshandlungen und sogar Folter bei der Bundeswehr zunehmen. Auch hier auf dem Fliegerhorst Wunstorf wurden Soldaten misshandelt. Armeen, die der Eroberung und Kontrolle fremder Territorien dienen, können nur durch die Verbreitung von Angst, durch drakonische Disziplinarmaßnahmen und gegebenenfalls Körperstrafen in den Kampf gezwungen werden. Auch darauf hat Scharnhorst bereits hingewiesen.

Das Geschichtsbild, das sich die Bundeswehr im Zusammenhang mit Scharnhorst zusammenbastelt, hat mit der historischen Persönlichkeit nichts zu tun. Die Säuberung des Scharnhorstdenkmals in den letzten Tagen war geradezu ein symbolischer Akt. Die Geschichte wird reingewaschen. Alle Spuren antimilitaristischen Widerstandes oder auch nur des Widerspruchs werden fein säuberlich aus Bordenau beseitigt.

In seinem grauenhaften Zukunftsroman 1984 schrieb George Orwell:

„Alles löste sich in Nebel auf. Die Vergangenheit war ausradiert, und dann war sogar die Tatsache des Radierens vergessen, die Lüge war zur Wahrheit geworden.“

Die Bundeswehr pflegt Traditionen, aber nicht die des preußischen Heeresreformers, sondern die der Bordenauer Scharnhorstgeburtstagsfeiern.

Erst seit Beginn 20. Jahrhunderts pflegt man in Bordenau das Andenken Scharnhorsts, der – wie es der Zufall wollte – in diesem ansonsten unbedeutenden Dorf am Ufer der Leine geboren wurde.

Unter Vorsitz des damaligen Neustädter Landrates Dr. Wilhelm Dewitz v. Woyna setzte sich ein Komitee zur Errichtung eines Scharnhorst-Denkmals in Bordenau für die öffentliche Ehrung des berühmten Offiziers ein. Die Führung dieser Vereinigung durch den ersten königlich-preußischen Staatsbeamten des damaligen Landkreises Neustadt macht deutlich, welchen besonderen Wert staatliche Stellen auf die Propagierung des Scharnhorst-Andenkens und des damit verbundenen „Wehrgedankens“ legten. 1905, pünktlich zum 150. Geburtstag Scharnhorsts, konnte das Denkmal in Bordenau eingeweiht werden. Zur gleichen Zeit wurden im Raum Neustadt wie überall im gesamtem Reichsgebiet zahllose Kriegervereine, Kyffhäuserbünde, Flottenvereine und andere deutschnationale Verbände gegründet, die sich die Förderung der Kriegsbereitschaft, die Unterstützung der Aufrüstungsprogramme der Reichsregierung und den Kampf gegen den inneren Feind – damals die sozialdemokratische Arbeiterbewegung – zur Aufgabe gemacht hatten. Reichswehr- und Staatsführung bereiteten bereits den Ersten Weltkrieg vor und allen Verantwortlichen war klar – auch dies eine Erfahrung aus den antinapoleonischen Kriegen -, dass der Mobilisierung der Bevölkerung und der Ausschaltung von Kriegsgegnern eine entscheidende Bedeutung zukommen würde. Das gesamte gesellschaftliche Leben musste auf den Krieg ausgerichtet, Millionen von Menschen sollten für die Rüstungsproduktion oder die Front aktiviert werden. Man bereitete den ersten industriell geführten, den ersten totalen Krieg vor. Die Begeisterung bei Ausbruch des Krieges im August 1914 wäre nicht möglich gewesen ohne die jahrelange ideologische Bearbeitung der Bevölkerung durch – zumindest in Dörfern und Kleinstädten – allgegenwärtige gesinnungsmilitaristische Vereinigungen, die Aufmärsche, Feiern und Feste mit Marschmusik, Fahnen, Orden und Uniformen organisierten oder die Errichtung von Kriegs- und Heldendenkmälern förderten.

Einen zweiten Höhepunkt des Scharnhorstkultes erlebte Bordenau am 17.11.1935. Die NSDAP, ihre Massenorganisationen, Kyffhäuserverbände, die freiwillige Feuerwehr, der örtliche Männergesangsverein, der Arbeitsdienst und Wehrmachtsvertreter feierten den 180. Geburtstag Scharnhorsts und die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Tausende von Menschen marschierten durch Bordenau zu einer „Heldengedenkfeier“ am Scharnhorstdenkmal, legten Kränze nieder, schwenkten Fahnen, berauschten sich an Marschmusik, marschierten dann zum Kundgebungsplatz, wo die Ehrengäste Aufstellung nahmen, und lauschten nach einer erneuten Darbietung des Männergesangsvereins den Ansprachen der eingeladenen Politiker und Militärs. Die örtliche Leine-Zeitung berichte am nächsten Tag über eine Rede des Staatsministers a.D. Spangemacher, der als Vertreter des Gauleiters gekommen war:

„Geschehnisse und Persönlichkeiten müssen wir in Beziehung setzen zu unserer Zeit und den Lebensnotwendigkeiten unseres Volkes. Das zu Scharnhorsts Zeiten aus dem Westen herübergekommene liberalistische Denken hat den Einzelnen emporgehoben und niemals an das Ganze gedacht. Neben dem Soldaten müsse der Politiker stehen und so sehen wir, wie neben dem General v. Scharnhorst der Freiherr vom Stein durch seine wahrhaft völkische Politik die Voraussetzungen für das Gelingen des Werkes Scharnhorsts schuf. Noch einmal haben Politiker und Soldaten für die weitere Einigung des deutschen Reiches erfolgreich gearbeitet, Bismarck und Moltke. Im großen Weltkriege hatten wir auch die großen Soldaten Hindenburg und Ludendorff, aber der Politiker fehlte, und dann musste der Krieg verloren werden. Draußen an der Front stand das Heer, aber drinnen im Lande herrschte keine völkische Politik, sondern internationales Gesindel. Wenn wir vor 10 Jahren unserem Volke Waffen wiedergegeben hätten, hätte dieses Volk die Waffen gar nicht genommen. Es musste erst Adolf Hitler kommen, der die Werke des Freiherrn vom Stein und des Generals von Scharnhorst bis zur Vollendung weiterführte. In unserem Führer vereinigen sich Politiker und Soldat in einer Person. Wir müssen heute nur eines kennen, das Höchste, unser Deutsches Volk und seine heilige Mission.“

Schließlich fand alles seinen würdigen und angemessenen Abschluss. Wieder die Leine-Zeitung:

„Mit einem dreifachen Sieg-Heil auf den Führer und das Singen der nationalen Lieder fand die eindrucksvolle Kundgebung ihr Ende. Ein Umzug von Tausenden durch den festlich geschmückten Ort, in dessen Straßen dichte Menschenmassen standen, und ein Vorbeimarsch am Denkmal des großen Soldaten beschloss die gestrige Veranstaltung, die in feierlicher Weise die Verehrung der Bevölkerung unseres Kreises für den großen Sohn unserer niedersächsischen Heimat zum Ausdruck brachte.“

Die Vorbereitungen für den nächsten totalen Krieg liefen zu dieser Zeit bereits wieder auf Hochtouren. Nur acht Monate nach dem Aufmarsch in Bordenau begann der erste Auslandkampfeinsatz der Wehrmacht und der wieder aufgebauten Luftwaffe. Illegal und völkerrechtswidrig wurde ein Militärputsch gegen die Spanische Republik unterstützt. Bomberbesatzungen u.a. vom nahegelegenen Fliegerhorst Wunstorf zerstörten Städte und Dörfer in Spanien, darunter die baskische Stadt Gernika (spanisch: Guernica), ein Kriegsverbrechen, das v.a. Picasso durch sein gleichnamiges Bild weltweit bekannt machte. Drei Monate nach der Siegesparade der aus Spanien zurückgekehrten Legion Condor in Berlin und knapp vier Jahre nach der Scharnhorst-Geburtstagsfeier in Bordenau brach mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen der Zweite Weltkrieg aus. Aufrüstung und ideologische Vorbereitung der Bevölkerung waren erfolgreich abgeschlossen. Zwar fehlte die Kriegsbegeisterung wie 1914, aber die Kriegsbereitschaft war vorhanden, die Menschen würden funktionieren, und darauf kam es der NS-Führung an.

In der Bordenauer Ortschronik liest man über diese Ereignisse nichts. Die Nazizeit wird dort fast vollständig ausgelassen. Entschuldigend heißt es: „Auf dem Gebiete des Nationalsozialismus sind wir nicht zu befriedigenden Ergebnissen gekommen, obwohl dessen Bedeutung für eine therapeutische und identitätsstiftende Funktion der Geschichtsschreibung kaum überschätzt werden kann. Der Arbeitsaufwand in diesem Bereich schien uns in keinem vertretbaren Verhältnis zu den zu erwartenden Ergebnissen zu stehen. Wir meinen dennoch mit diesem Buch beitragen zu können zu Identitätsbildung durch Emanzipation.“

Zu großer Arbeitsaufwand?

So erfährt man beispielsweise auch nichts von dem unmittelbar nach dem Kriege verfassten umfangreichen schriftlichen Bericht des Bordenauer Lehrers Franz Hennies über seine Gestapo-Haft in Hannover-Ahlem. Franz Hennies, überzeugter Christ, war kurz vor Kriegsende auf Grund von Denunziationen der Witwe des Kommandeurs des Fliegerhorstes Wunstorf, Drabbe, und des Oberstleutnants Müller, wegen angeblich kritischer Äußerungen in Bordenau verhaftet und der Geheimen Staatspolizei übergeben worden.

Militär und Gesinnungsmilitarismus haben in Bordenau eine unheilvolle Rolle gespielt. Franz Hennies hat dies sehr konkret und persönlich erfahren müssen.

Doch wem es zu viel Arbeitsaufwand ist, sich mit der eigenen Geschichte zu befassen und sie daher nicht kennt, ist verurteilt, sie zu wiederholen.

Bereits 1955, das als Gründungsjahr der Bundeswehr gilt, wurde wieder Scharnhosrtgeburtstag in Bordenau gefeiert, aber noch im regionalen Rahmen. (Der Zeitzeuge Walter Timpe wird gleich darüber berichten.)

Den dritten Höhepunkt des Scharnhorstgedenkens mussten die Einwohner Bordenaus am 12.11.1995 über sich ergehen lassen. Die Bundeswehrführung lud zum öffentlichen Gelöbnis aller drei Teilstreitkräfte, feierte den 40. Jahrestag der Wiederbewaffnung und den 240. Geburtstag Scharnhorsts. Schon Tage vor dem großen Ereignis bestimmte Militär das Leben im Dorf, der Sportplatz konnte nicht mehr genutzt werden. Kriegsgegner aus Hannover hatten zwei Demonstrationen angemeldet, von denen eine gleich verboten wurde, die Hetze gegen Gegner des Gelöbnisses in der örtlichen Presse steigerte sich kontinuierlich von Tag zu Tag. Während des Aufmarsches selbst war der Ort nach außen abgeriegelt, nur mit Einladungskarte konnte man der Durchsuchung des Autos entgehen. Das Demonstrationsrecht – immerhin ein Grundrecht – war außer Kraft gesetzt. Kein Demonstrant wurde zum genehmigten Kundgebungsort durchgelassen. Einzelne, die es wagten, während des Gelöbnisses zu protestieren, wurden gewaltsam entfernt. Selbst Pressevertreter konnten sich nicht frei bewegen.

Die Wiedererweckung des ebenso altbekannten wie fragwürdigen Scharnhosrtkultes geschah in einer Situation, als die Bundeswehr sich mitten in der Umstrukturierungsphase zur Interventionsarmee befand.

Mit der heutigen Feier zum 250. Geburtstag Scharnhorsts geht die Bundeswehr noch einen Schritt weiter und präsentiert sich öffentlich als international einsetzbare Interventionsarmee. Erstmals, so ließ man die Presse wissen. „seien als Folge der sogenannten ‚Transformation der Bundeswehr’ streitkräfteübergreifende Einheiten aus Heer und Marine, Luftwaffe, Sanitätswesen und der Streitkräftebasis an einem Gelöbnis beteiligt.

In der Tat: Die Bundeswehr pflegt mit ihren wieder entdeckten Bordenauer Geburtstagsfeiern Tradition. Doch es ist nicht die von Gerhard Johann David von Scharnhorst, sondern die der Aufmärsche und des Gesinnungsmilitarismus, der Gewöhnung an militärische Umgangsformen und Gewalt, an Auslandkampfeinsätze und Eroberungskriege.

Es ist eine unheilvolle Tradition, die hier gepflegt wird – mit ihren Höhepunkten vor dem Ersten Weltkrieg, vor dem Zweiten Weltkrieg und … heute.

(Aktuelle Informationen zur geplanten Bordenauer Scharnhorstgeburtstagsfeier am 12.11.2010 finden sich unter Bordenau: Öffentliches Gelöbnis 2010.)