Scharnhorstgeburtstagsfeier und Aufmarsch der Bundeswehr

Geburtshaus von Scharnhorst in Bordenau, Foto 1996
Geburtshaus von Scharnhorst in Bordenau, Foto 1996

Neustadt-Bordenau, 12. November 2010:

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts pflegen Militärs und ihre Sympathisanten in Neustadt-Bordenau (Region Hannover) mit einem Denkmal und Aufmärschen das Andenken des preußischen Heeresreformers Gerhard Johann David von Scharnhorst, der hier am 12.11.1755 geboren wurde und am 28.6.1813 in Prag an den Folgen einer Kriegsverletzung starb. Scharnhorst entwickelte am Steinhuder Meer und später in Preußen seine Konzeption des Verteidigungskrieges und der Verteidigungsarmee, scheiterte aber letztlich am preußischen Obrigkeitsstaat.

Besonders im Vorfeld der beiden Weltkriege lebte das Scharnhorstgedenken in Bordenau auf. Die Nationalsozialisten organisierten Massenaufmärsche in Bordenau, um die Bevölkerung auf die bereits geplanten Angriffskriege vorzubereiten.

Und auch die Bundeswehr zelebriert, je mehr sie sich zur weltweit eingesetzten Interventionsarmee entwickelt, einen Scharnhorstkult, der nichts mit den Verteidigungskonzepten dieser historischen Persönlichkeit zu tun hat. Wieder einmal wird Scharnhorst missbraucht zur Propaganda internationaler Militäraggressionen.

(Zur Geschichte der Aufmärsche in Bordenau vgl. Bordenauer Geburtstagsfeiern)

Auch am 12. November 2010 soll wieder ein Massenaufmarsch mit so genanntem Öffentlichem Gelöbnis stattfinden – dabei handelt es sich um einen militaristischen Initiationsritus, dessen Wurzeln im feudalen preußischen Obrigkeitsstaat zu verorten sind.

In diesem Jahr sollen 950 Soldaten und Soldatinnen aller Waffengattungen der Bundeswehr in Bordenau aufmarschieren, um ihr Gelöbnis vor 400-450 geladenen Gästen sowie circa 3000 Angehörigen abzulegen. Möglicherweise wird auch der Verteidigungsminister zu diesem anachronistischen Militärspektakel anreisen, um seine Verbundenheit mit der Truppe zu demonstrieren und Propaganda für die verfassungswidrigen internationalen Militäreinsätze und neuen Kolonialkriege der Bundeswehr zu machen. Ein Großteil der Gäste wird mit etwa 110 Bussen vom Fliegerhorst Wunstorf aus herangeschafft.

Am Tag des Gelöbnisses wird Bordenau in großen Teilen zum militärischen Sperrgebiet erklärt werden, in der das Hausrecht des Militärs gilt. In den von der Bundeswehr kontrollierten Stadtteilen werden demokratische Grundrechte suspendiert sein, dort gibt es weder das Recht auf Meinungs- noch auf Demonstrationsfreiheit. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass die Bundeswehr – je näher der Aufmarschtermin rückt – systematisch ein Bedrohungsszenario inszeniert und herbeiredet. Auch in diesem Jahr ist zu befürchten, dass Gelöbnisgegnerinnen und -gegner diskriminiert werden.

Wir werden daher auf dieser Seite ein öffentliches Tagebuch über die Vorbereitungen auf die Bordenauer Geburtstagsfeier führen, um zu dokumentieren, wie hierzulande mit demokratischen Grundrechten umgegangen wird, wenn deutsches Militär marschiert.

Aufmarsch in Bordenau 2010 – eine Chronologie

7.1.2010: Die Leine-Zeitung (Beilage der Hannoverschen Allgemeinen und der Neuen Presse aus dem Verlagshaus Madsack) meldet, auf Wunsch des „Scharnhorst-Komitees“ werde in Neustadt-Bordenau am 12. November 2010 mal wieder Scharnhorstgeburtstag gefeiert.

23.1.2010: Verteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg habe die Erlaubnis zur Scharnhorstgeburtstagsfeier mit Gelöbnis erteilt, ist der Leine-Zeitung zu entnehmen.

2.2.2010: Im Namen des „Antimilitaristischen Aktionskreises Region Hannover“, einem Zusammenschluss sämtlicher Spektren der Friedens- und Antikriegsbewegung, meldet Hubert Brieden aus Neustadt unter dem Titel “Vom Wilhelmstein zum Hindukusch – die seltsamen Reisen des Gerhard Johann David von Scharnhorst” Kundgebungen in Bordenau an (Sportplatz neben der Schule und an der Kreuzung Bordenauer Str./Am Dorfteich). Darüber hinaus werden Informationsveranstaltungen in Kooperation mit dem Arbeitskreis Regionalgeschichte und dem Ver.di-Bildungswerk in Neustadt vorbereitet. Themen: die aktuelle Situation in Afghanistan und das Verhältnis der Bundeswehr zum Grundgesetz.

27.5.2010: Das Neustädter Blatt meldet, ein Oberstleutnant Knut Kohlberger aus dem Wehrbereichskommando Kiel habe den Bordenauer Ortsrat über den Stand der militärischen Vorbereitungen auf den Massenaufmarsch der Bundeswehr unterrichtet. Die Planung bereite der „Bundeswehr Kopfzerbrechen“, heißt es in dem Artikel, weil es „zeitgleich eine angemeldete Versammlung Linksautonomer“ geben werde. Damit beginnt die Bundeswehr – wie erwartet – ein Bedrohungsszenario zu konstruieren; die Hetze gegen GegnerInnen des Gelöbnisses hat begonnen.

27.5.2010: Via Neustädter Blatt schickt Hubert Brieden ein Dankeschön an Oberstleutnant Knut Kohlberger. „Linksautonomer“ oder „Linksautomer“, das ist hier die Frage und was ist damit eigentlich gemeint? „mit Interesse habe ich Ihrem Artikel entnommen, dass Knut Kohlberger, Bundeswehr-Oberstleutnant aus dem Wehrbereichkommando Kiel, den Bordenauer Ortsrat über den Stand der Vorbereitungen zur Scharnhorstgeburtstagsfeier mit ‘Gelöbnis’ am 12. November 2010 informiert habe. Die Planungen seien für die Bundeswehr eine ‘logistische Herausforderung’, nicht zuletzt deshalb, weil ‘Linksautonome’ eine Versammlung angemeldet hätten. Nun bin ich derjenige, der im Namen des ‘Antimilitaristischen Aktionskreises Region Hannover’ die Kundgebung angemeldet hat, und weder in Neustadt noch in der Region Hannover bin ich bislang als ‘linksautonom’ identifiziert worden. Auch mir selber war mein ‘Linksautonomsein’ bislang nicht bewusst. Für diesen Erkenntnisgewinn möchte ich mich bei Oberstleutnant Knut Kohlberger aufrichtig bedanken. Ab sofort werde ich mich auf Veranstaltungen, von denen es ja einige rund um das ‘Gelöbnis’ geben wird, und auch im privaten Kreise als ‘Autor und Linksautomer’ vorstellen. Ich denke auch bereits über den Druck neuer Visitenkarten nach. Also, nochmal ganz ganz herzlichen Dank an Oberstleutnant Kohlberger.“

28.5.2010: Die Stadt Neustadt teilt dem Antimiltaristischen Aktionskreis Region Hannover (AMAK) mit (Eingang des Schreibens: 28.5.2010), die Sportanlagen seien durch den Pächter bereits für ein Gelöbnis vergeben und die Nutzung der Kreuzung Am Dorfteich/Bordenauer Str. für die angemeldete Kundgebung könne nicht in Aussicht gestellt werden. Stattdessen könne ein Platz „20 – 25 m südlich der Kreuzung“ angeboten werden, ob AMAK mit diesem Ort einverstanden sei.

2.6.2010: Der Antimilitaristische Aktionskreis teilt der Stadt Neustadt am 2.6. mit, dass diese Frage nur im Zusammenhang mit den übrigen Planungen der Stadt beantwortet werden könne. Sobald diese vorlägen, würde die Stadt umgehend Nachricht erhalten. Gleichzeitig wird eine Kundgebung mit literarischer Lesung am Tag des Gelöbnisses (9-10 Uhr) vor dem Scharnhorstdenkmal angemeldet.

8.6.2010: Auch im Protokoll der Sitzung des Bordenauer Ortsrates vom 25.5.2010 wird die Geschichte von den „Linksautonomen“ kolportiert, allerdings wird das Bedrohungsszenario noch ein wenig weitergesponnen. Jetzt geht es nicht nur um den Tag des Gelöbnisses selbst, sondern gleich um mehrere Tage. Wörtlich heißt es u.a.: „Sorgen bereiten der Bundeswehr laut Herrn Kohlberger linksautonome Gruppierungen, die ebenfalls in den Tagen um den 12.11.2010 in Bordenau erwartet werden. Dementsprechend wird seitens der Bundeswehr wie auch der Polizei Vorsorge getroffen; u.a. ist eine Einlasskontrolle geplant, die dafür sorgen soll, dass nur angemeldete Personen Zutritt zum öffentlichen Gelöbnis haben.“ Ob bereits am Dorfeingang Einlasskontrollen stattfinden sollen und ab wann diese Kontrollen vorgesehen sind, geht aus dem Protokoll nicht hervor.

18.8.2010: Die Leine-Zeitung meldet, die Bundeswehr habe das geplante öffentliche Gelöbnis in Bordenau abgesagt und wolle es an einen anderen Ort verlegen. Zur Begründung habe Oberstleutnant Ludger Terbrüggen angegeben, bei der Enge in Bordenau sei es nicht möglich die Veranstaltung “in einem würdigen Rahmen” abzuhalten. Offensichtlich fürchteten die Verantwortlichen, dass es während der zwei vom AMAK angemeldeten Kundgebungen am Scharnhorstdenkmal und in der Nähe des Gelöbnisplatzes wie 2005 zu lautstarken Protesten kommen würde. Sollte sich die Meldung der Leine-Zeitung bestätigen wäre dies ein beachtlicher Erfolg der Gelöbnisgegener aus der Region Hannover.

19.8.2010: In einer Presseerklärung des Arbeitskreises Regionalgeschichte und des Antimilitaristischen Aktionskreises Region Hannover zur Absage des Öffentlichen Gelöbnisses in Bordenau heißt es: Mit Freude nehmen wir zur Kenntnis, dass der für den 12.11.2010 geplante Massenaufmarsch der Bundeswehr mit öffentlichem Gelöbnis in Bordenau abgesagt wurde. Ein Bundeswehrsprecher begründete dies mit der Enge in Bordenau, in der „das Gelöbnis in einem würdigen Rahmen“ nicht durchzuführen sei. Der Antimilitaristische Aktionskreis Region Hannover hatte für diesen Tag Kundgebungen sowohl am Scharnhorstdenkmal als auch am Gelöbnisplatz angemeldet und es wäre wie bereits 2005 kaum möglich gewesen, die Proteste zu ignorieren oder abzudrängen. Die Entscheidung der Bundeswehr, nicht im Geburtsort des preußischen Heeresreformers Scharnhorst aufzumarschieren, war überfällig angesichts der Tatsache, dass die deutsche Armee sich zu einer v. a. aus Berufsoldaten bestehenden Interventionsarmee für internationale Kriegseinsätze wandelt. Dafür stand Scharnhorst jedenfalls nicht. Anders als die Bundeswehr werden wir die von uns im November geplanten Veranstaltungen nicht absagen, denn in Afghanistan wird weiter geschossen, gebombt und gestorben.