HAZ-Hetze oder: Die Fabrikation der Stupidität

Zwei Kommentare zur Presseberichterstattung der hannoverschen Monopolmedien rund um das Sommerbiwak 2012 und den Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge

Radiokommentar von Hubert Brieden

(Erstsendung: Radio Flora, 11.6.2012)

In der Nacht vom 6. auf den 7. Juni 2012 wurde in Hannover ein Brandanschlag auf Militärfahrzeuge verübt. Auf dem Gelände des Dienstleistungszentrums der Bundeswehr brannten 6 LKW, 3 VW-Busse und 4 PKW. Die Täter kannten sich erstaunlich gut aus: Sie überwanden den Zaun an einer Stelle, der von den Überwachungskameras nicht erfasst werden konnte und sie schlugen exakt zu einem Zeitpunkt zu, als eine Flotte fabrikneuer Fahrzeuge für eine Nacht auf dem Platz abgestellt war. So die Presse. (HAZ-Online. 7.6.2012)

Zwei Tage später ging bei mehreren Medien ein anonymes Bekennerschreiben ein, von dem die Polizei den Eindruck habe, dass es authentisch sei – wie es hieß. Das komplette Bekennerschreiben wurde in der Tageszeitung „Junge Welt“ (9.6.2012) dokumentiert.

Soweit die bislang bekannten Fakten.

Einen Tag bevor dieses Schreiben bekannt wurde und die Sprecherin des Verfassungsschutzes ausdrücklich betonte, die Polizei stehe erst am Anfang der Ermittlungen und man solle jetzt nicht vorgreifen und „bestimmte Gruppen“ stigmatisieren, wusste die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) bereits, wo die Täter zu suchen seien: In der hannoverschen Antikriegsbewegung, die zur Zeit die alljährliche Protestdemonstration gegen das für den 29. Juni geplante „Sommerbiwak“ der 1. Panzerdivision vorbreitet. Der Verfassungsschutz nämlich – so die Begründung – habe einen „Blick auf Antimilitaristen“. Dann wird – ohne dessen Erscheinungsjahr anzugeben – aus einem Verfassungsschutzbericht zitiert, in dem wiederum der „Antimilitaristische Aktionskreis“ (AMAK) zitiert wird, nämlich so: „Das Sommerbiwak ist für uns der Anlass, diejenigen, die von Krieg und Ausbeutung profitieren, mit sichtbarem und hörbarem Protest und Widerstand zu konfrontieren und ihnen die Akzeptanz zu entziehen“. Beim „Antimilitaristischen Aktionskreis Region Hannover“ (AMAK) handelt es sich übrigens um ein Bündnis weltanschaulich ganz unterschiedlicher Friedens- und Antikriegsgruppen aus der Region Hannover. Vertreten sind beispielsweise das Friedensbüro Hannover, Attac, die Grüne Jugend, der Arbeitskreis Regionalgeschichte, die Rote Aktion Kornstraße und andere.

Die HAZ übernahm das angebliche Amak-Zitat aus dem niedersächsischen Verfassungsschutzbericht 2011 (S. 175), anscheinend ohne zu überprüfen, ob überhaupt richtig zitiert wurde. Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Im Original-AMAK-Zitat aus dem Aufruf zu den Protesten gegen das Sommerbiwak 2011 gibt es nämlich einen zeitlichen Bezug, der vom Verfassungsschutz weggelassen wurde, ohne dies kenntlich zu machen. Das Originalzitat lautet: „Das Sommerbiwak am 8. Juli 2011 ist für uns der Anlass, diejenigen, die von Krieg und Ausbeutung profitieren, mit sichtbarem um hörbarem Protest und Widerstand zu konfrontieren und ihnen die Akzeptanz zu entziehen.“ (AMAK-Aufruf 2011 S. 3, Hervorhebung markiert die vom Verfassungsschutz und der HAZ weggelassene Passage)

Nur durch das Wegmanipulieren des Datums kann das Zitat überhaupt mit dem Anschlag auf die Bundeswehrfahrzeuge im Jahr 2012 in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus werden im HAZ-Artikel ohne Quellenangabe irgendwelche angeblichen Aussagen aus dem Internet „zitiert“, deren Existenz und Richtigkeit niemand mehr überprüfen kann und mit AMAK überhaupt nichts zu tun haben.

Da die zeitlich neutralisierten Zitat-Zitate (so was Ähnliches wie „Stille Post“) auch inhaltlich in keinem Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Bundeswehrfahrzeuge stehen, stellt die HAZ-Radaktion diesen Zusammenhang nun – in einem zweiten Manipulationsschritt – per Layout her. Unter den Fotos von den ausgebrannten Fahrzeugwracks und gleich neben der fetten Schlagzeile „13 Fahrzeuge der Bundeswehr zerstört“ ist die Subüberschrift „Verfassungsschutz hat Blick auf Antimilitaristen“ platziert. Bei flüchtigem Lesen der den Bildern untergeordneten Schlagzeilen und Texte entsteht der Eindruck, hannoversche Antimilitaristen und speziell der Antimilitaristische Aktionskreis stünden im Zusammenhang mit dem Anschlag. Manipulation der plumpesten Art – aber typisch für die seit geraumer Zeit zu beobachtende „Boulevardisierung“ der Presse, die zunehmend ihren Gebrauchswert als Nachrichtenmedium verliert. In ihrem medienkritischen Buch „Blödmaschinen – die Fabrikation der Stupidität“ konstatieren die Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen: „Der Vorgang der Nachrichten-Übermittlung (…) ist gleichsam ein natürliches Feld der Fälschung.“ (S. 370) Und an andere Stelle: „Mit der Erweiterung des Nachrichten-Feldes wird auch das Feld der Fälschungen erweitert und vor allem die Grauzone zwischen Information und Fiktion.“ (S. 372)

Volker Goebel, der Kommentator der HAZ (7.6.2012) gleitet dann endgültig aus der Grauzone ins Fiktionale, indem er den Anschlag auf Bundeswehrfahrzeuge in Hannover gleichsetzt mit Anschlägen auf Bahnlinien, um dann schlussfolgern zu können, die Attentäter würden in Kauf nehmen, „dass Menschen zu Schaden kommen“ – was ja nun in Hannover gerade nicht der Fall war. Aber was nicht passt, wird passend gemacht.

Nachdem Goebel alles in einen Topf gerührt hat, steigert er sich zu einem furiosen Ende: „Linksextremisten“, glaubt er erkannt zu haben, knüpften mit den Anschlägen „an ein düsteres Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte an: Die Ära des RAF-Terrorismus begann mit dem Legen von Brandsätzen. Anfangs wurde betont, es gehe doch nur um Gewalt gegen Sachen. Doch auf einer schiefen Ebene rutschte die Bewegung bald in Richtung Terror.“

Weder mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch mit der Geschichte der RAF scheint Goebel sich sonderlich gut auszukennen. Doch darauf kommt es auch gar nicht an. Goebel und seiner HAZ geht es um Stimmungsmache gegen die hannoversche Friedens- und Antikriegsbewegung. Die Proteste gegen das Sommerbiwak der 1. Panzerdivision sollen kriminalisiert, potentielle TeilnehmerInnen abgeschreckt, die Antikriegsbewegung soll gespalten werden. Demonstrationsauflagen oder sogar –verbote – und hier schließt sich der Kreis – lassen sich dann bei Bedarf mit dem herbeihalluzinierten Gefahrenpotential begründen, das von den antimilitaristischen Demonstrationen und Kundgebungen ausgehe. Die Hetze der HAZ zielt auf das Demonstrationsrecht und ist im Kern antidemokratisch.


Meutenjournalismus oder: Eine Frau sieht rot

Radiokommentar von Hubert Brieden

(Erstsendung: Radio Flora, 2.7.2012)

„So was erlebt ein Journalist so oft nun auch nicht:“, schimpft Mirjana Cvjetkovic, die für die „Neue Presse“ tätig ist. (Zur Erklärung für Auswärtige: Bei dieser Tageszeitung handelt es sich um eine Art Bild-Zeitungsverschnitt des Madsack-Konzerns, der auch die Hannoversche Allgemeine Zeitung, HAZ, herausgibt.) Und weiter zetert es: „Da wird man zu einer Pressekonferenz eingeladen und keine Viertelstunde später stehen Medienvertreter, die ja über das Anliegen der Einladenden berichten wollen, in der Kritik der Veranstalter.“ (NP 27.6.2012) Diesen für die NP-Schreiberin unglaublichen Vorgang – nämlich dass Kritik an Journalisten geübt wurde – erlebte sie auf einer Pressekonferenz des „Antimilitaristischen Aktionskreises Region Hannover“ (AMAK), einem spektrenübergreifenden Bündnis von Friedens- und Antikriegsgruppen. „Auslöser“, fährt die Aufgebrachte in ihrem Kommentar fort, sei „eine einfache wie legitime Frage“ gewesen: „Was halten die AMAK-Aktivisten eigentlich von dem Brandanschlag auf den Bundeswehr-Fuhrpark Anfang des Monats?“ Gerade schrieb sie noch, die Medienvertreter seien gekommen, um über „das Anliegen der Einladenden“ zu berichten und gleich darauf macht sie deutlich, dass sie eigentlich über die AMAK-Planungen zu der Demonstration gegen das Sommerbiwak gar nichts wissen will, sondern über eine Aktion reden möchte, die mit AMAK gar nichts zu tun hat. Der Widerspruch in ihrem eigenen Text scheint ihr nicht aufzufallen. Vielleicht stellt sie sich auch nur dumm oder ist vergesslich. Denn auf der Pressekonferenz machte gerade die NP-Frau recht rüde deutlich, dass sie an den über das Biwak hinausgehenden Aktivitäten von AMAK kaum interessiert sei, sie habe keine Zeit und wolle nun endlich zum Thema kommen, blaffte sie los.

Stellen sich zwei Fragen: Warum besucht sie eine Pressekonferenz, für deren Thema sie nur mäßiges Interesse aufbringt? Und: Warum geht sie dorthin, wenn sie keine Zeit hat?

Die Antwort ist einfach: Ihr und den anderen PresservertreterInnen ging es einzig und allein um ein kurzes Statement zu dem hannoverschen Brandanschlag. Einer (Erstsendung: Radio Flora, 2.7.2012)der Madsack-Journalisten hatte das gleich bei Betreten des Raumes deutlich gemacht, als er nach den „Leuten von der Kornstraße“ fragte – offensichtlich enttäuscht darüber, dass statt der vermeintlichen Autonomen nur VertreterInnen von ATTAC, dem Friedensbüro und dem Arbeitskreises Regionalgeschichte anwesend waren. Die anfängliche Enttäuschung legte sich dann bald, als sie mit der Kritik an der verleumderischen Berichterstattung der Madsack-Medien konfrontiert wurden. Langweilig war es jedenfalls nicht und diese Pressekonferenz wird ihnen in Erinnerung bleiben.

Was wurde kritisiert?

1. die Verfälschung eines AMAK-Zitates durch Weglassen eines darin enthaltenen Datums,

2. die Übernahme von Zitaten aus einem Verfassungsschutzbericht, ohne diese auf ihre Korrektheit zu überprüfen,

3. die Zuordnung des zeitlich neutralisierten Zitats aus dem Jahr 2011 zum Brandanschlag im Jahr 2012,

4. die grafische Gestaltung der Zeitungsseite, mit der die Zuordnung des manipulierten Zitats zum Brandanschlag auch optisch umgesetzt wurde.

Es ging nicht nur um die Verletzung journalistischer Sorgfaltspflicht, sondern auch um den Vorwurf von Fälschung und Manipulation. Der HAZ-Vertreter beteuerte, es sei doch richtig zitiert worden, nämlich aus dem Verfassungsschutzbericht, den er offensichtlich für eine Art Bibel hält – absolut wahrhaftig und unhinterfragbar. Auf die Idee, dass im Verfassungsschutzbericht falsch oder unvollständig zitiert werden könnte, ist er bis zu dieser Pressekonferenz anscheinend noch nicht gekommen. Warum in der HAZ auch noch das Datum des fraglichen Verfassungsschutzberichtes weggelassen wurde, das deutlich gemacht hätte, dass das AMAK-Zitat mit dem Brandanschlag in keinem Zusammenhang steht, konnte er nicht erklären.

Auf der Pressekonferenz ging es aber nicht nur um Manipulationen, sondern auch um die Einschätzung des Brandanschlages.

Die Madsack-Medien behaupten, bei dem Brandanschlag handele es sich um eine neue Anschlagsqualität. In den letzten Jahren gab es jedoch eine Reihe von Anschlägen auf Bundeswehrfahrzeuge oder auf Fahrzeuge von Unternehmen, die mit der Bundeswehr kooperieren. In der HAZ selber wurde immerhin an die Anschläge auf Einrichtungen der Bahn erinnert, die ebenfalls mit dem Kriegseinsätzen der Bundeswehr zu tun hatten, und an den Anschlag auf den Rosenpavillon in Hannover. Auf die Frage, worin denn nun angesichts dieser Anschlagsserie die neue Qualität bestünde, antwortete der HAZ-Vertreter: in der Höhe des Schadens von 600 000 Euro. Ein wenig überzeugendes Argument. Die durch die Anschläge auf die Bahn verursachten Schäden und Folgeschäden (durch Zugausfälle, Verspätungen etc) sind sicherlich höher gewesen und die durch die übrigen Anschläge auf Bundeswehrfahrzeuge verursachten Schäden lagen auch nicht wesentlich unter der hannoverschen Schadensbilanz. Menschen wurden beim Brandanschlag von Hannover nicht verletzt. Die Behauptung von einer neuen Anschlagsqualität hält also offensichtlich den Tatsachen nicht stand. Warum wird sie dennoch aufrechterhalten und aggressiv verteidigt, wie etwa von der Kommentatorin der Neuen Presse?

Die Boulevardmedien leben von der Übertreibung, der Skandalisierung, der Simplifizierung und der Personalisierung von Sachfragen. Jedes durchschnittliche Sommergewitter oder der erste Schneefall im Dezember wird zur Horrormeldung hochgeschrieben. Daneben gibt es Prominentengelaber, Sportnachrichten und andere Banalitäten. Mit gründlich recherchierten Artikeln, mit Fakten können diese Zeitungen kaum aufwarten und die meisten JournalistInnen haben entweder keine Zeit zu recherchieren oder sie sind dazu fachlich nicht mehr in der Lage. Um Zeitungen zu verkaufen muss also alles zum gigantischen Sonderfall aufgebauscht werden, zum Riesenskandal, zur Katastrophe … und es müssen Schuldige gefunden werden, Sündenböcke, die verantwortlich gemacht werden können. Die Journaille bläst zur Hatz … An anderer Stelle wurde diese Art des Journalismus treffend als „Meutenjournalismus“ bezeichnet.

Durch die zunehmende Boulevardisierung verlieren die Zeitungen – und nicht nur die – immer mehr ihre Bedeutung als Nachrichten- und Informationsmedien. Alles versinkt in einem Sumpf von Beliebigkeit, Geschwätz und Werbung.

Während der Pressekonferenz fragten die Madsack-JournalistInnen, welche Auflagen die Polizei für die Demonstration und Kundgebung vom AMAK denn erlassen habe. Die Antwort: Die gleichen wie immer. Spätestens an dieser Stelle hätte ihnen deutlich werden müssen, dass die Polizei AMAG nicht mit dem Anschlag in Verbindung bringt und das diesjährige Gefahrenpotential rund um die AMAK-Demonstration nicht höher einschätzt als in den Jahren zuvor. Die Demonstration verlief denn auch ohne irgendwelche Probleme. Selbst eine Vertreterin des Verfassungsschutzes hatte unmittelbar nach dem Brandanschlag davor gewarnt, voreilige Schlüsse zu ziehen.

Es geht den Madsack-Medien nicht mehr um Information, sondern um Stimmungsmache. Menschen sollen eingeschüchtert und davon abzuhalten werden, an antimilitaristischen Demonstrationen überhaupt noch teilzunehmen. Der Widerstand gegen die Kriege der Bundeswehr soll generell illegalisiert, die Friedens- und Antikriegsbewegung soll gespalten werden.

Von Fakten weitgehend unbeeindruckt, wird in den hannoverschen Tageszeitungen wild drauflos spekuliert. Hatte bereits ein Schreiber der HAZ die Rote Armee Fraktion wieder auferstehen sehen, präsentiert Mirjana Cvjetkovic jetzt eine originelle neue Indizidee für die Verbindung von AMAK und Brandanschlag: AMAK habe nämlich seine Aufkleber und Plakate in der Farbe Magenta gedruckt und …. „Die Brandsätze waren in magentafarbenen Kisten verpackt.“ Und wie üblich wird der „Beweis“ per Layout gebracht: Fotos des Brandanschlages, eines AMAK-Plakates und einer roten Kiste werden nebeneinander montiert. Realsatire? Es scheint so. Selbst auf den Fotos der Neuen Presse ist erkennbar, dass die AMAK-Aufkleber in Rosa gedruckt sind und einen anderen Farbton aufweisen als die Pappkartons. Politische Blindheit paart sich da mit Farbenblindheit Ein hoffnungsloser Fall. Und hätten die Rosa- und Rottöne mit einem guten Fotobearbeitungsprogramm nicht noch angeglichen werden können? Da kann noch nachgebessert werden.