Kommentar
In Zeiten europäischer und bundesdeutscher außen- und flüchtlingspolitischer Unfähigkeiten, erinnert sich so manche Verwaltung alter Fähigkeiten und beweist damit allerdings wenig historisches Feingefühl.
Schon 2014 plante die nordrhein-westfälische Stadt Schwerte, die Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Gelände eines ehemaligen Außenlagers des KZ Buchenwald. Dies führte zu auch internationaler Kritik und Protesten.
Nun soll kurzfristig nach dem Willen der niedersächsischen Landesregierung ein in Oerbke angesiedeltes NATO-Lager als Aufnahmeeinrichtung und Drehkreuz für Flüchtlinge herhalten. Das nahe bei Bad Fallingbostel am Südrand der Lüneburger Heide gelegene Oerbke, ist Verwaltungssitz des gemeindefreien Bezirks Osterheide. Das dortige Militärlager schon älter als die 1949 gegründete NATO. Es entstand im Jahre 1935 im Zuge der Remilitarisierung des Deutschen Reiches, gemeinsam mit dem Truppenübungsplatz Bergen. Dafür wurden 24 Gemeinden aufgelöst und die dortige Bevölkerung zwangsumgesiedelt.
An diesem Ort wurde nicht nur für den schätzungsweise 80 Millionen Tote fordernden Zweiten Weltkrieg trainiert.
Ende September 1939 ließ die Wehrmacht auf dem Gelände eines, dem Militärlager gegenüberliegenden Arbeiterlagers, das Kriegsgefangenenmannschaftsstammlager (Stalag) XI B Fallingbostel errichten. Im Juli 1941 erfolgte in etwa einem Kilometer Entfernung, die Einrichtung des so genannten Russenlagers Stalag (321) XI D Oerbke, ab 1944 Stalag 357. Diese Lager dienten auch schon Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern aus Australien, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Polen, Serbien, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und den USA als Drehscheibe. Als Drehscheibe in den Zwangsarbeiterseinsatz und als Drehkreuz in den Tod.
Alleine auf der Kriegsgräberstätte in Oerbke liegen etwa 30.000 Tote, in der Mehrheit Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. Anfangs auf die kahle Wiese gesperrt, vegetierten sie in Erdlöchern vor sich hin; starben an Hunger, Kälte und Krankheiten oder wurden ermordet.
Da klingt es schon wie Hohn für die unzähligen Toten, dass das nahegelegene Fallingbostel 1975 zum Kurort erhoben wurde und die ehemalige Entlausungsanlage des Stalags XI D auch heute noch von der Bundeswehr genutzt wird.
Das Militärlager wurde nach Kriegsende zunächst als Unterkunft für Displaced Persons und Flüchtlinge genutzt. Später bezogen hier britische, kanadische und niederländische NATO-Truppen Quartier. In den frühen 1990er Jahren wurden hier auch kurzzeitig DDR-Aussiedler durchgeschleust. Nun sind die ersten Flüchtlinge in Oerbke angekommen und sollen dort mittlerweile wohl auch länger bleiben.
Unbestritten ist, dass Flüchtlinge eine sichere Unterkunft brauchen. Allerdings bezweifelt der Autor, dass es sich dabei um ein Lager an so einem abgelegenen und historisch brisanten Ort handeln muss.
© Helge Kister, 12.09.2015