Dünnes Eis – latenter Antisemitismus in einer westdeutschen Kleinstadt

Nachrichten über Angriffe von Neonazis auf unerwünschte Menschen – seien es nun Immigranten, Behinderte, Obdachlose, Sinti, Juden, Punks, Linke oder andere – gehören inzwischen zur täglichen Zeitungslektüre. In der Regel findet man sie unter „Kurz und Knapp“ im Innenteil oder auf der Klatsch- und Tratschseite. Diskriminierungen, Hetzjagden durch nächtliche Innenstädte, Misshandlungen oder auch Morde von Rechtsradikalen besitzen in Deutschland keinen größeren Nachrichtenwert mehr, sorgen selten für Schlagzeilen auf den Titelblättern. Zwischen 1990 und Januar 1996 starben mindestens 121 Menschen durch rechtsradikale Terrorakte. Synagogen und jüdische Kultureinrichtungen müssen inzwischen rund um die Uhr bewacht werden, um Anschläge zu verhindern, jüdische Friedhöfe werden mehr oder weniger regelmäßig verwüstet. Daß sich auch dort, wo in den letzten Jahren nichts Spektakuläres passiert ist, dumpfe Ressentiments breitmachen, zeigt das Beispiel Neustadt am Rübenberge – Kleinstadt mit fast 18.000 Einwohnern im Landkreis Hannover. Seit sieben Jahren weigert sich der dortige Ortsrat beharrlich, Straßen nach verfolgten und ermordeten Neustädter Juden und Sinti zu benennen.

Autor: Hubert Brieden
Produktion: 2000

Nachbemerkung:
Als Feature gesendet von „Radio Flora“ 7. u. 8.8.2000;
veröffentlicht in der Berliner Tageszeitung „Junge Welt“ v. 9.8.2000.

Das Feature wurde ausgezeichnet mit dem Alternativen Medienpreis 2001.