Latenter Antisemitismus in einer westdeutschen Kleinstadt

Dünnes Eis

Hubert Brieden

Nachrichten über Angriffe von Neonazis auf unerwünschte Menschen – seien es nun Immigranten, Behinderte, Obdachlose, Sinti, Juden, Punks, Linke oder andere – gehören inzwischen zur täglichen Zeitungslektüre. In der Regel findet man sie unter „Kurz und Knapp“ im Innenteil oder auf der Klatsch- und Tratschseite. Diskriminierungen, Hetzjagden durch nächtliche Innenstädte, Misshandlungen oder auch Morde von Rechtsradikalen besitzen in Deutschland keinen größeren Nachrichtenwert mehr, sorgen selten für Schlagzeilen auf den Titelblättern. Zwischen 1990 und Januar 1996 starben mindestens 121 Menschen durch rechtsradikale Terrorakte. Synagogen und jüdische Kultureinrichtungen müssen inzwischen rund um die Uhr bewacht werden, um Anschläge zu verhindern, jüdische Friedhöfe werden mehr oder weniger regelmäßig verwüstet. Daß sich auch dort, wo in den letzten Jahren nichts Spektakuläres passiert ist, dumpfe Ressentiments breitmachen, zeigt das Beispiel Neustadt am Rübenberge – Kleinstadt mit fast 18.000 Einwohnern im Landkreis Hannover. Seit sieben Jahren weigert sich der dortige Ortsrat beharrlich, Straßen nach verfolgten und ermordeten Neustädter Juden und Sinti zu benennen.

Vertrieben, ermordet, totgeschwiegen

45 jüdische Menschen registrierten die Nazis 1933 in der früheren Kreisstadt Neustadt. Nicht viel in absoluten Zahlen. Prozentual waren das mit fast 1,3% der Bevölkerung, mehr als im nahegelegenen Hannover. Bis 1945 waren die jüdischen Neustädter und Neustädterinnen enteignet, vertrieben umgebracht worden. Die Synagogengemeinde existierte nicht mehr. Nur eine Frau kehrte aus dem Konzentrationslager nach Neustadt zurück. Kaum jemand interessierte sich dafür, was aus ihnen geworden war. Niemand wagte, an die Verschwundenen zu erinnern. Bereits 1950 wurde der einflussreichste Nazi vor Ort, Bauunternehmer Wilhelm Rahlfs, als Chef der wiedergegründeten, einflussreichen Neustädter Schützengesellschaft vom Rat mit der Durchführung des ersten Nachkriegsschützenfestes beauftragt. Damit qualifizierte er sich – jetzt zur FDP konvertiert – erneut für politische Ämter. 1956 wurde er zum Bürgermeister der Ackerbürgerstadt gekürt. Obersturmbannführer Rahlfs war als Schläger bekannt, hatte missliebige Menschen denunziert und im Januar 1942 die letzte in Neustadt noch lebende Jüdin an das Landratsamt gemeldet, die dann „ordnungsgemäß“, wenige Wochen vor Kriegsende, noch ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Seine Baufirma hatte vom Rüstungsbauboom profitiert. Politik und Geschäft waren zur gewinnbringenden Einheit verschmolzen. Niemand protestierte, als dieser Mann seine politische Karriere in den fünfziger Jahren fortsetzte. Rahlfs’ erste Amtszeit dauerte bis 1961. Dann machte er eine Pause und repräsentierte die Stadt von 1966 – 1968 zum zweiten Mal als Bürgermeister. Jetzt förderte er gemeinsam mit dem Heimatbund die Herausgabe einer Stadtchronik, in der die Zeit des Faschismus und damit auch seine eigene Rolle bei der Vernichtung der Neustädter Juden komplett verschwiegen wurde. Nachdem die jüdischen Menschen verschwunden waren, eliminierten ehemalige Tatbeteiligte sie auch aus der örtlichen Geschichtsschreibung – Voraussetzung für die jetzt kursierenden Legenden und Gerüchte. So hieß es noch Anfang der 80er Jahre, in Neustadt sei den Juden nichts passiert, alle hätten emigrieren können. Die einen hätten eine Hazienda in Argentinien, ein anderer betreibe ein Hotel in Barcelona…

Kein Zutritt zum Archiv – kein Geld

Die Lücken in der Stadtchronik waren jedoch zu offensichtlich. Einige Neustädter und Neustädterinnen wollten genauer wissen, was passiert war, gründeten 1981 einen Arbeitskreis an der Kreisvolkshochschule und begehrten Einblick in das Stadtarchiv, was von der Stadtverwaltung, wo man doch bislang so großen Wert auf die Pflege von Tradition und Geschichte gelegt hatte, sofort verweigert wurde. Nach wochenlangem Gezerre musste man klein beigeben und die Akten freigeben. Damit war der Konflikt jedoch nicht beendet. In den folgenden Jahren lehnte die Mehrheit im Neustädter Rat es kategorisch ab, Publikationen, Bücher und Veranstaltungen des Arbeitskreises Regionalgeschichte, wie sich die Gruppe jetzt nannte, zu bezuschussen. Großzügige Geldzuwendungen für die üblichen Ortschroniken, in denen die Zeit des Faschismus nach wie vor kein Thema war, flossen dagegen weiter. Aber auch dieser Versuch, mittels Geldverweigerungen, Veröffentlichungen zu verhindern, scheiterte. Private Spender streckten zunächst die nötigen Finanzmittel für den Druck vor, und die Publikationen verkauften sich so gut, daß sie sich schließlich selbst trugen. Der Neustädter Stadtdirektor äußerte bereits 1983 in einer NDR-Fernsehsendung, was ihn störte: Die Autoren des Arbeitskreises würden „in moralisch zweifelhafter Weise“ arbeiten, weil sie „von Tätern und Opfern in konkretem orts- und personenbezogenen Sinne sprechen, indem sie Namen noch möglicherweise lebender Personen behandeln …“. Auch für das Buch „Juden in Neustadt – Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung einer Minderheit“, verweigerte der Rat jegliche Zuschüsse. Die Vorsitzende des örtlichen Heimatmuseumsvereins, als CDU-Mitglied im Neustädter Rat tätig, begründete, warum sie eine Bezuschussung ablehne. „Kein Bürger und deren Nachkommen“ dürfe „durch ein entsprechendes Werk diffamiert“ werden. Da dies nicht auszuschließen sei, könne sie einer Förderung nicht zustimmen. Man wusste genau um was es ging und was passiert war. Die Beteiligten an der Judenverfolgung und – vernichtung und die Arisierungsgewinnler sollten jedoch ungenannt bleiben.

Öffentliches Gedenken unerwünscht

Von Anfang an bemühte sich der Arbeitskreis Regionalgeschichte darum, der Opfer auch im öffentlichen Raum, auf Straßen und Plätzen zu gedenken. Der Widerstand war erheblich. So sollte es beispielsweise drei Jahre dauern bis am ehemaligen Standort der jüdischen Synagoge eine Gedenktafel angebracht wurde, für die sich zahlreiche Menschen in Unterschriftenlisten eingesetzt hatten. Der vorgeschlagene Text wurde allerdings durch die Stadt geändert. Hinweise auf die Nazis als Täter fielen der Zensur anheim. Das war in der ersten Hälfte der 80er Jahre. Anfang der 90er hatte sich die politische Stimmungslage erheblich verändert. Mit dem Antrag, Straßen in einem Neubaugebiet nach verfolgten und ermordeten Neustädter Juden und Sinti zu benennen, befasste sich der Ortsrat 1993 vorsichtshalber überhaupt nicht mehr in öffentlicher Sitzung. Die Vorschläge verschwanden in der Versenkung. Von einer zweiten Vorschlagsliste strich man sämtliche jüdischen Namen, auch den von Anne Frank. Die öffentliche Diskussion konnte aber dennoch nicht verhindert werden. Allerding meldeten sich auch antisemitische Stimmen: Wer wolle schon im „Judenviertel“ wohnen?

Tricks und Intrigen

Den meisten Ortsratsmitgliedern waren die Auseinandersetzungen um die Straßenbennungen noch gut im Gedächtnis, als im Januar 2000 für ein neues Baugebiet wieder mehr als hundert Straßennamen gesucht wurden. Keine Partei griff jedoch den alten Vorschlag des Arbeitskreises Regionalgeschichte auf, an die Naziopfer zu erinnern. Statt dessen kamen Vorschläge, Namen von Nobelpreisträgern zu nehmen, von Sternenbildern, Ländern der europäischen Gemeinschaft, von Ackerfrüchten, Tieren, deutschen Kunstmalern. Außerdem sollten Begriffe aus der germanischen Mythologie berücksichtigt werden. Wieder stellte der Arbeitskreis Regionalgeschichte an den Ortsrat den Antrag, Straßen nach verfolgten Neustädter Juden und Sinti zu benennen, reichte mehr als 50 Namensvorschläge ein, informierte gleichzeitig die Presse und startete eine Unterschriftenaktion. Sofort wurde die Diskussion um die Straßenbenennung wieder in den nichtöffentlichen Teil der Beratungen des Ortsrates verlegt. Ortsratsmitglieder berichteten empört, Ortsbürgermeister Hans-Erich Hergt (SPD), gleichzeitig aktiver Offizier in der Neustädter Schützengesellschaft, der sich in der Presse als begeisterter Sammler von Zinnsoldaten präsentierte, habe sich während einer nichtöffentlichen Sitzung abfällig über die Unterschriftenaktion geäußert. Außerdem habe er den Ortsrat unzureichend informiert. Niemandem sei der Antrag im Wortlaut bekannt und auch die Namenslisten lägen nicht vor. Einen anderen Zeugen ließ Hergt wissen, diese Straßenbenennungen hätte in Neustadt ohnehin keine Chance. Als klar wurde, daß auch der Stadtdirektor Antrag und Listen nicht in die Informationsdrucksachen aufnehmen würde, informierte der Arbeitskreis Regionalgeschichte sämtliche Orts- und Stadtratsmitglieder per Post. Viele hörten jetzt zum ersten Mal von der ganzen Angelegenheit, einige sicherten ihre Unterstützung zu, manche unterschrieben auch die Unterschriftenlisten. Nachdem auch viele Prominente weit über Neustadt hinaus ihre Unterstützung zugesagt und sich Hunderte von Menschen in die Unterschriftenlisten eingetragen hatten, rechtfertigte Hergt sich, immer mehr unter Druck geratend, öffentlich in der Presse, vermied es jedoch peinlich, eine inhaltliche Stellungnahme zur Straßenbenennung abzugeben. In der nichtöffentlichen Sitzung des Neustädter Verwaltungsausschusses präsentierte ein SPD-Mitglied die neueste Idee des Ortsbürgermeisters: Statt Straßenschilder mit den Namen der Verfolgten solle man doch eine Gedenktafel am Kriegerdenkmal, dem sog. „Ehrenmal“ aufstellen. Öffentlich hat Hergt den Vorschlag bislang jedoch nicht vorgetragen. Schließlich beschloss der Ortsrat einstimmig, die ersten Straßen im Neubaugebiet nach Nobelpreisträgern zu benennen und die Verfolgtennamen unberücksichtigt zu lassen. Verschiedene Ortsratsmitglieder meldeten sich telefonisch beim Arbeitskreis Regionalgeschichte und beteuerten, man sei einvernehmlich zu dem Schluss gekommen, die nächsten Straßen nach verfolgten und ermordeten Juden zu benennen. Irgendwann. In zwei oder drei Jahren. Zu den Sinti äußerte man sich gar nicht. Ein bindender Beschluss war vorsichtshalber nicht gefasst worden.

Eindeutig doppeldeutig

Unterdessen ließ der Ortsbürgermeister den NDR wissen: „Wir lehnen ja nicht die Idee ab, die der Arbeitskreis uns hier vorgebracht hat, sondern die Liste, die der Arbeistskreis erarbeitet hat, ist nicht eindeutig und, wenn man exakt recherchiert hat über die Schicksale der einzelnen Personen, denke ich, wird es auch überhaupt gar keine Widerstände geben, im politischen Raum so zu verfahren.“

„Wenn man exakt recherchiert hat…“, sagt der Repräsentant einer Stadt, die jahrzehntelang alles daran gesetzt hat, die Spuren jüdischen Lebens zu verwischen und die bis heute unter Missachtung des niedersächsischen Archivgesetzes immer noch über kein reguläres Nachkriegsarchiv verfügt, in dem man z.B. Rückerstattungsforderungen von jüdischen Familien an die Stadt recherchieren könnte. Erst kürzlich wurde Neustadt deshalb die „rostige Büroklammer“ von der Arbeitsgemeinschaft niedersächsischer Kommunalarchive für die „systematische Vernichtung von archivischer Überlieferung“ verliehen. Die Liste des Arbeitskreises ist in einer Reihe von regionalen und überreginalen Archiven gründlich recherchiert worden und sie ist eindeutig. Alle genannten Menschen sind von den Nationalsozialisten diskriminiert und aus Neustadt vertrieben, der größte Teil ist ermordet worden. Natürlich sind manche Daten unvollständig, mache Schicksale bleiben ungeklärt. Beispielsweise hat sich der eine oder andere Flüchtling nicht ordnungsgemäß abgemeldet. Bei anderen Opfern, die spurlos in den Todeslagern verschwanden, ist der exakte Todeszeitpunkt nicht mehr zu ermitteln. Das ist dem Ortsbürgermeister zu ungenau, er spielt auf Zeit, möchte den Eindruck erwecken, es handle sich gar nicht um Verfolgte oder Ermordete, beginnt zu relativieren.

Noch hat es in Neustadt keine spektakulären Übergriffe gegen unerwünschte Minderheiten gegeben. In den achtziger Jahren wurde der jüdische Friedhof mehrmals verwüstet, aber das ist hierzulande ja nichts Besonderes und auch schon einige Jahre her. Mancher möchte nicht im „Judenviertel“ wohnen. Namen von Juden und Sinti sind auf Straßenschildern immer noch unerwünscht. Politiker aller Couleur bedienen altbekannte Ressentiments oder passen sich geschmeidig dem Zeitgeist an.

Alltag in einer ganz normalen deutschen Kleinstadt. Leben auf dünnem Eis.

Soeben melden die Nachrichten, in Düsseldorf sei ein Bombenanschlag auf jüdische Immigranten verübt worden, in Ahlbeck sei ein Obdachloser zu Tode getreten worden und in Bad Segeberg seien ausländisch aussehende Besucher von einem Festplatz geprügelt worden. Alle möglichen Prominenten beteuern, man müsse endlich etwas gegen den Rechtsradikalismus unternehmen. Aber mit den Vorgängen in Neustadt hat das alles nichts zu tun, absolut nichts.

27. Juli 2000

Nachbemerkung:

Als Feature gesendet von „Radio Flora“ 7. u. 8.8.2000;

veröffentlicht in der Berliner Tageszeitung „Junge Welt“ v. 9.8.2000.

Das Feature wurde ausgezeichnet mit dem Alternativen Medienpreis 2001.

Zu hören ist das Feature hier:

ak-regionalgeschichte.de/wp-content/uploads/duennes_eis.mp3


Fortgang der Geschichte

Oktober 2003

Inzwischen haben sich fast 500 Menschen mit ihrer Unterschrift dafür eingesetzt, Straßen in Neustadt nach den ermordeten Juden und Sinit zu benennen. Bislang ohne Erfolg.

Mit Schreiben vom 1.12.2002 stellte der „Jugendrat der Stadt Neustadt am Rübenberge“ an den Ortsrat zu Händen des Ortsbürgermeisters Hans-Erich Hergt (SPD) und den Stadtdirektor Dieter Häseler den Antrag, Straßen nach ermordeten Neustädter Juden und Jüdinnen zu benennen und schlug dafür 9 Namen vor, die stellvertertetend für alle während der Nazizeit Verfolgten stehen sollen. Bislang konnte und wollte der Ortrat sich nicht zu einem entsprechenden Beschluss durchringen.

November 2006: Städtische Kurskorrektur

Die Stadt Neustadt unterstützte die Erstellung der Ausstellung “Jüdisches Leben in Neustadt am Rübenberge”. Bürgermeister Uwe Sternbeck hielt während der Ausstellungseröffnung am 9.11.2006 in Schloss Landestrost eine Ansprache, lud eine Nachfahrin der jüdischen Familie Steinberg nach Neustadt ein und machte mit ihr gemeinsam mit Ortsbürgermeister Hergt und MitarbeiterInnen des “Bürgerkomitees Weiße Rose” einen Ausstellungs- und Stadtrundgang. Inzwischen wurde aus Kreisen der Stadt der Vorschlag gemacht, “Stolpersteine” zur Erinnerung an ermordete und vertriebene Neustädter Jüdinnen und Juden installieren zu lassen.

Mai 2007: Beschluss des Ortrates Neustadt

Am 16.5.2007 begrüßte der Ortsrat Neustadt (Kernstadt) einstimmig das Setzen von drei “Stolpesteinen” vor dem ehemaligen Haus der aus Neustadt vertriebenen jüdischen Familie Steinberg.

Oktober 2007: Keine “Stolpersteine” – stattdessen Schülerwettbewerb zur Gestaltung eines Mahnmahls

Anlässlich des Besuches von Nachfahren der Familie Steinberg/Sternheim in Neustadt sollten die ersten drei “Stolpersteine” Anfang Oktober 2007 vor dem ehemaligen Haus von Leo, Marianne und Anneliese Steinberg verlegt werden, denen nach der Vernichtung ihre Existenz die Flucht aus Deutschland gelungen war. Doch jetzt spielte das Büro des “Stolperstein”-Verlegers Gunter Demnig nicht mehr mit. Es ließ wissen, “wenn alle überlebt haben” mache der Künstler “die Steine ungern”. Überlebende sollten “nur in Verbindung mit ermordeten Familienangehörigen” genannt werden. Dies war sowohl ein Affront gegenüber den Nachfahren der Familie Steinberg/Sternheim als auch gegenüber dem Ortsrat der Stadt Neustadt und widersprach dem Wunsch, aller Neustädter Opfer des Antisemitismus zu gedenken. Sowohl das Bürgerkomitee Weiße Rose Neustadt als auch die Stadt Neustadt beschlossen daraufhin, einen Schülerwettbewerb zur Gestaltung eines Mahnmals oder verschiedener Gedenkorte auszuschreiben.

September 2010: SchülerInnenwettbewerb abgeschlossen und Neustädter Ortsrat unterstützt die Schaffung eines Mahnmals, will dafür aber kein Geld ausgeben

Nach Abschluss des SchülerInnenwettbewerbs soll einer der ausgewählten Mahnmalenwürfe realisiert werden. In seiner Sitzung vom 11.8.2010 beschloss der Neustädter Ortsrat, dieses Vorhaben zu unterstützen. Der Beschluss im Wortlaut:

“Der Ortsrat der Ortschaft Neustadt a. Rbge. bekundet seinen Willen zur Unterstützung des Bürgerkomitees Weiße Rose Neustadt a. Rbge. Der Ortsrat unterstützt ausdrücklich die Schaffung eines Mahnmals für die ermordeten und vertriebenen jüdischen Neustädterinnen und Neustädter. Der Ortsrat Neustadt a. Rbge. favorisiert den Standort ‘Erichsberg’ und bittet die Verwaltung, alle weiteren Schritte zu veranlassen, damit das Mahnmal auf Kosten der ‘Weißen Rose’ dort eingesetzt wird.”

Finanzielle Mittel (benötigt wurden knapp 20 000 €) stellte die Stadt für das Mahnmal nicht zur Verfügung, die sollten ausschließlich durch Spenden aufgebracht werden.

2012/2013: Scheitern der Spendensammlung für ein Mahnmal

Nun geschah das, was viele Beteiligte befürchtet hatten: Bis August 2012 war der notwendige Betrag immer noch nicht beisammen. Zudem hatte die “Weiße Rose” sich inzwischen aufgelöst. Angesichts der Tatsache, dass die Sammlung gescheitert war, schlug der Arbeitskreis Regionalgeschichte der Stadt Neustadt vor, mit dem vorhandenen Geld, erste Stolpersteine verlegen zu lassen, da das Büro Demnig inzwischen seine Position geändert habe und für alle Verfolgten Steine verlege. Sowohl die Stadt Neustadt als auch die Volkshochschule Hannover-Land, die das Spendenkonto geführt hatte, stimmten diesem Vorschlag zu.

März 2014: Verlegung der ersten Stolpersteine

27. März 2014: Die ersten sieben Stolpersteine wurden unter großer Beteiligung der Neustädter Bevölkerung verlegt. Bürgermeister Uwe Sternbeck und Ingrid Wettberg von der Liberalen jüdischen Gemeinde Hannover hielten Ansprachen. Schülerinnen und Schüler des Neustädter Gymnasiums verlasen die Biografien der Personen, die auf den Stolpersteinen genannt werden.

Weitere Steine sollen folgen.

Informationen zur Stolpersteinverlegung in Neustadt

September 2014: Ortsrat Neustadt will immer noch ein Mahnmal, aber immer noch kein Geld dafür ausgeben

8.9.2014: Auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen befasste sich der Neustädter Ortrat wieder mit dem Thema “Mahnmal”. Im “Initiativantrag” heißt es: “Der Ortsrat der Ortschaft Neustadt am Rübenbegre beauftragt die Verwaltung, alle notwendigen Schritte einzuleiten für die ‘Errichtung eines Mahnmales für die ermordeten und vertriebenen jüdischen Neustädterinnen und Neustädter’ wie in DS [Drucksache] 141/2010 beschrieben. Das Mahnmal soll aus Spendengeldern finanziert und von der Stadt errichtet und unterhalten werden.”

In der anschließenden Diskussion betonte Ortsbürgermeister Klaus-Peter Sommer (SPD), dass die Stadt sich nicht an der Finanzierung eines Mahnmals beteiligen müsse. (Protokoll der Ortsratssitzung v. 8.9.2014, S. 5) Ratsmitglied Thomas Iseke (FDP) stellte den Antrag, den letzten Halbsatz des Antragstextes zu streichen. Mit zwei Enthaltungen – also nicht mal die Grünen unterstützen ihren eigenen Antrag – stimmt der Ortsrat für diesen Vorschlag. Der letzte Satz lautet nun: “Das Mahnmal soll aus Spendengeldern finanziert werden.” Nach wie vor lehnt der Neustädter Ortsrat es also ab, einen finanziellen Beitrag zur Errichtung und Unterhaltung eines Mahnmals zu leisten.

Vorschlag für die Verlegung weiterer neun Stolpersteine im Jahr 2015

30.9.2014: Der Arbeitskreis Regionalgeschichste setzt die Spendensamlung für die nächsten Stolpersteine fort und schlägt der Stadt Neustadt vor, 2015 weitere neun Steine zu verlegen für Martha und Kurt Hünerberg, Leopold, Paula, Lotti und Kurt Leopold Rosenbaum sowie Jenny, Otto und Walter Meinrath. Daten zu den genannten Personen finden sich hier (Forschungsprojekt Judenverfolgung/).

Ratsfrau Ute Lamla (Bündis 90/Die Grünen): “Das Projekt ist auf keinen Fall gestorben!”

1.10.2014: Auch die Arbeit an der Realisierung eines zentralen Mahnmahls zur Erinnerung an die Opfer des Antisemitismus in Neustadt soll nicht aufgegeben werden, betont Ute Lamla, Vorstandsmitglied im Ortsverein Neustadt von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Neustadter Rat in einem Schreiben an den Arbeitskreis Regionalgeschichte. Nach dem Beschluss des Ortsrates solle sich nun der Neustädter Rat und seine Gremien mit der Angelegenheit befassen, da die Bedeutung des Mahnmals nach Auffassung der Verwaltung über die Kernstadt hinausgehe. Sobald der Rat sich für ein Mahnmal ausgesprochen habe und eine Haushalsstelle eingerichtet worden sei, könnte mit der Spendensammlung für das Mahnmal begonnen werden.

Mahnmal soll sich harmonisch einfügen und nicht stören

24.7.2017: Der ursprünglich vom Ortsrat Neustadt beschlossene Standort für ein Mahnmal an die Opfer des Holocaust wurde nun noch einmal verändert. Statt am Rande des „Erichsberges“ soll es nun in der Mitte des zugehörigen Parks errichtet werden. Außerdem soll auch die ursprünglich vorgesehene Gestaltung verändert werden. Die Begründungen sind einer Informationsdrucksache für den Neustädter Ortsrat zu entnehmen: Benachbarte Flächen sollen für andere Veranstaltungen nutzbar bleiben. Zu der Veränderung der Gestaltung heißt es: „Der Sockel wird (…) im Material der Bastion angepasst, damit das Denkmal sich einfügt und ein harmonisches Gesamtbild ergibt.“

Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um das öffentliche Gedenken in Neustadt soll zwar ein Mahnmal in Erinnerung an den Massenmord errichtet werden (soweit das nötige Geld zusammenkommt), doch es soll möglichst wenig auffallen und die Harmonie nicht stören.

Die Initiatoren des Mahnmals – Bürgerkomitee Weiße Rose und Arbeitskreis Regionalgeschichte – wollten ein Mahnmal, das zum Verharren und Gedenken einlädt, das auffällt und auch zum „Stein des Anstoßes“ wird, das an die Ausrottung unerwünschter Menschen erinnert.

Der Neustädter Ortsrat nahm die Pläne zur Verlegung und Harmonisierung des Mahnmals zur Kenntnis.

Februar 2018: Altrewa Bürgerstiftung bietet Finanzierung an – die Realisierung des Mahnmals rückt in greifbare Nähe

Februar 2018: Die Sammlung für das Mahnmal durch Ute Lamla (Grüne) und Heidi Sommer (SP) erbrachte bislang nur einen Bruchteil des erforderlichen Geldes von mehr als 20.000 €. Nun hat die Altrewa Bürgerstiftung aus Neustadt angeboten, das gesamte Mahnmal zu bezahlen und schlägt als Standort den Platz „Zwischen den Brücken“ vor. Lamla und Sommer gingen auf das Angebot nicht ein und gefährden damit die Realisierung des Mahnmals, dass noch 2018 gebaut werden könnte.

Dazu die Stellungsnahme des Arbeitskreises Regionalgeschichte:

Mahnmal noch in diesem Jahr?!

Der Arbeitskreis Regionalgeschichte begrüßt die Absicht der Altrewa Bürgerstiftung, ein Mahnmal für die ermordeten und vertriebenen Neustädter Jüdinnen und Juden zu finanzieren. Damit rückt endlich die Realisierung eines zentralen Mahnmals für die Kernstadt und die Dörfer in greifbare Nähe. Es wäre eine sinnvolle Ergänzung zur Verlegung von Stolpersteinen, die sich immer auf den letzten Wohnort der Opfer beziehen, und deshalb den Umfang der Verfolgung nur teilweise abbilden können. Vielleicht könnte das Mahnmal sogar noch in diesem Jahr zum 80. Jahrestag der Pogromnacht errichtet werden.

Entsetzt sind wir darüber, dass die Lokalpolitikerinnen Ute Lamla (Grüne) und Heidi Sommer (SPD) durch ihr brüskierendes Verhalten gegenüber der Altrewa Bürgerstiftung nun den nahen Erfolg des Projektes gefährden. Nachdem eine erste Sammlung 2013 gescheitert war, hatten sich Lamla und Sommer ab Ende 2014 angeboten, erneut Spenden einzuwerben. Für diese erneute Sammlung stellten wir unsere Forschungsergebnisse und Vorarbeiten des Bürgerkomitees Weiße Rose für das Mahnmahl zur Verfügung.

Bis heute ist nicht annähernd das notwendige Geld von mehr als 20 000 Euro zur Realisierung des Mahnmals zusammengekommen. In dieser Situation das Angebot der Altrewa Bürgerstiftung zu übergehen, ist unverantwortlich. Sollte das Mahnmalprojekt scheitern, wären die Namen Lamla und Sommer untrennbar mit diesem Scheitern verbunden.

Es ist sinnvoll, dass die Altrewa Bürgerstifung auch noch mal über den Standort reden möchte. Der von ihr vorgeschlagene Platz „Zwischen den Brücken“ ist unserer Meinung nach bestens für das Mahnmal geeignet. Dies aus drei Gründen: Hier auf den Leinewiesen wurde nach der Pogromnacht das Inventar der Neustädter Synagoge verbrannt, hier wohnte die jüdische Familie Meinrath und es ist ein genügend großer und repräsentativer Ort am Eingang der Altstadt.

Wir hoffen, dass die Altrewa Bürgerstiftung sich durch das stümperhafte Auftreten der beiden Politikerinnen nicht abschrecken lässt und das Angebot zur Finanzierung des Mahnmals aufrechterhält.

26.2.2018, Arbeitskreis Regionalgeschichte e.V.

Dritte Verlegung von Stolpersteinen in Neustadt a. Rbge. im September 2018

Am 25.9.2018 ab 15 Uhr wurden weitere 7 Stolpersteine verlegt werden: Wallstraße: Edith Birkenruth, Günter Birkenruth, Hermann Birkenruth, Johanna Birkenruth, Albert Wildau; Leinstraße: Erich Meinrath, Gertrud Meinrath.

4. November 2018: Einweihung des Mahnmals für die verfolgten und vertriebenen Neustädter Jüdinnen und Juden

An einem auf Initiative von Bürgermeister Uwe Sternbeck zustande gekommenen „Runden Tisch“ konnten die jahrelangen Kontroversen um das Mahnmal beigelegt und die Standortfrage geklärt werden. Am 4. November 2018 wurde es auf dem Platz „Zwischen den Brücken“ unter großer Beteiligung von Neustädterinnen und Neustädtern eingeweiht.

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